Das Hubertusbad – Ein Ort wie aus der Zeit gefallen
Wir stehen vor dem wuchtigen, dreitürigen Haupteingang des Stadtbades Lichtenberg – oder wie es liebevoll genannt wird: „die Hupe“. Der Schriftzug in plastischer Frakturschrift ragt über uns empor, eingerahmt von vier steinernen Wasserspringer-Figuren des Bildhauers Ludwig Isenbeck. Schon dieser erste Eindruck lässt uns ahnen, dass wir gleich ein ganz besonderes Relikt der Berliner Geschichte betreten werden.
Wir sind mit Go2know im Hubertusbad – Lost Place trifft Kunst und Kultur. Und genau das spüren wir sofort, als wir die breite Freitreppe hinauf ins Foyer schreiten: Vergangenheit, die in jedem Stein pulsiert.
Willkommen in den Goldenen Zwanzigern
Es ist der 2. Februar 1928, zumindest fühlt es sich so an. Damals eröffnete dieses expressionistische Badeparadies seine Tore. Mit Baukosten von rund 2,2 Millionen Reichsmark war das Hubertusbad ein Meilenstein: ein Ort für Hygiene, Gesundheit und Würde – besonders für die Unterschicht, die sich in überfüllten Mietskasernen keine Badezimmer leisten konnte. Toiletten im Hof, Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus – das war Alltag. Hier im Bad aber gab es warmes Wasser, saubere Handtücher und ein Stück Seife für ein paar Pfennige. Luxus für alle.
Wir wandern durch das Foyer, vorbei an alten Hinweisschildern und verblassten Tafeln. Alles wirkt wie eingefroren. Eine schlafende Schönheit.
Die Männerschwimmhalle – ein türkisfarbener Traum
Wir betreten die große Schwimmhalle. Der Blick schweift über das 25-Meter-Becken mit seinen türkisen Fliesen, den Startblöcken und den noch immer gut erhaltenen Sprungbrettern. Wir stellen uns das Echo vor, das einst von den Wänden hallte, das Platschen, das Lachen, das Training. Die Halle atmet DDR-Geschichte: Tausende Bürger lernten hier schwimmen, Rettungsschwimmer wurden ausgebildet, auch Wettkämpfe fanden statt.
Aber seit 1988 steht dieses Becken leer – ein Defekt an der Wasseraufbereitungs- und Heizungsanlage machte den Betrieb unmöglich. Wir können es fast fühlen, wie der letzte Schwimmer aus dem Becken stieg und das Licht gelöscht wurde.
Verwinkelte Gänge und stille Geschichten
Hinter jeder Tür, hinter jeder Ecke wartet eine neue Entdeckung. Die Gänge sind verwinkelt, manche führen ins Nichts, andere zu kleinen Wundern. Wir erkunden den „Stiefelgang“, der direkt zu den Garderoben entlang der Schwimmhalle führt. An den Türen gab es kleine Schiefertafeln, auf denen das Badepersonal einst die Ankunftszeit eintrug. Die Nutzungszeit war streng begrenzt: 60 Minuten, dann durfte der nächste rein.
Ein Haus für Körper und Geist
Wir gehen eine breite Treppe hinauf – vorbei an staubigen Fenstern – in die erste Etage. Hier befanden sich 68 Badekabinen, jede mit einer Wanne. Für ein paar Pfennige konnten sich Arbeiter hier endlich sauber fühlen. Es war mehr als nur Waschen – es war ein Stück Würde. Im zweiten Stock erwartet uns die römische Abteilung: Saunen, Massagekabinen, medizinische Anwendungen – alles noch erkennbar, obwohl der Zahn der Zeit daran nagt.
Ganz oben, auf dem Dach, soll es eine Sonnenterrasse mit Liegestuhlverleih gegeben haben. Heute ist der Zugang gesperrt, aber wir stellen uns vor, wie Berliner hier oben lagen, Sonne tankten, während unter ihnen das Leben rauschte.
DDR-Charme trifft expressionistische Eleganz im Hubertusbad
Was uns am meisten fasziniert: der Mix aus Epochen. Die expressionistische Architektur mit ihrer klaren, oft verspielten Formensprache trifft auf die rauen, funktionalen Details der DDR-Zeit. In den Kabinen stehen verrostete Metallschränke. Und doch ist alles von einer gewissen Schönheit – roh, ehrlich, voller Seele.
Das vergessene Herz von Lichtenberg
1991 wurde auch die kleinere Schwimmhalle, das ehemalige Frauenbad stillgelegt – ein Wasserrohrbruch, kein Geld für Reparaturen. Seitdem verfällt das Bad. Es steht unter Denkmalschutz, doch eine Wiederaufnahme des Badebetriebs scheint fast unmöglich. Die Kosten wären immens, und viele der alten Strukturen müssten weichen. Damit ginge das verloren, was das Hubertusbad so einzigartig macht: sein unverfälschter Charakter.
Im Untergeschoss entdecken wir Rohrleitungen, Pumpen, rostige Ventile. Etwas versteckt finden wir noch den alten Friseursalon.
Ein Ort, der bleibt
Wir verlasse das Hubertusbad mit gemischten Gefühlen. Was wir gesehen habe, ist mehr als ein Lost Place. Es ist ein Denkmal sozialer Fortschritte, medizinischer Visionen, architektonischer Kühnheit. Eine Perle des Expressionismus, ein Ort der Volksgesundheit, ein vergessenes Paradies – mitten in Berlin.
Wir hoffen, dass man einen Weg findet, das Bad zu erhalten – nicht steril und modernisiert, sondern als das, was es ist: ein Stück lebendige Geschichte, das noch so viel zu erzählen hat.
Wenn du auch durch das schlafende Hubertusbad wandeln willst – Go2know macht’s möglich.
Alle Fotos: ©Andreas Gy und Anna Karina Ruether