Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses
UNESCO-Welterbe Zollverein
12.9.2022 bis 16.4.2023


DER ANLASS
Kloake, Köttelbecke oder Kanal: Die Bezeichnungen der Emscher waren so wechselhaft wie ihre Geschichte. Über den Zeitraum eines Jahrhunderts war sie Symbol der Umweltbelastung und der industriellen Prägung des Ruhrgebiets. Die Emscher stand für die Schattenseiten der Industrialisierung und die ökologischen Opfer der industriellen Wertschöpfung. Der ehemals dreckigste Fluss Deutschlands ist seit Ende 2021 abwasserfrei. Damit kommt ein Prozess zum Abschluss, der, getragen von der Emschergenossenschaft, die Infrastruktur-, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der ganzen Region über ein Jahrhundert geprägt hat. Die »neue Emscher«, vor allem aber die nachhaltige Erneuerung des Flusses, ist auch von großer kultureller Symbolkraft: »Die Ausstellung zeigt die große Geschichte des zweifachen Umbaus eines ganzen Flusssystems, die gleichzeitig auch eine Geschichte des Ruhrgebiets im Industriezeitalter ist. Und sie zeigt die Möglichkeit auf, den Folgen der Industrialisierung zu begegnen und die Zukunft zu gestalten«, fasst Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums und Mitglied des Vorstands der Stiftung Zollverein, zusammen.

»Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses« ist Teil des Programmschwerpunkts, mit dem die Stiftung Zollverein, die Emschergenossenschaft und das Ruhr Museum 2022 den Emscher-Umbau würdigen. Mit der vor rund 30 Jahren begonnenen Renaturierung wird ein Zeichen für das postindustrielle Ruhrgebiet, für Artenvielfalt, Umwelt- und Hochwasserschutz gesetzt.
»Die dokumentarische Fotografie hat bereits in der Vergangenheit eine große Rolle bei der Emschergenossenschaft gespielt – und sie tut es auch in Zukunft. Die neue Ausstellung im Ruhr Museum veranschaulicht die Transformation der Region im Zuge des gerade abgeschlossenen EmscherUmbaus. Doch der blaugrüne Umbau unserer Stadtlandschaft geht weiter – und damit auch die fotografische Dokumentation dieses stetigen Wandels«, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

DIE AUSSTELLUNG
Die Sonderausstellung »Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses« des Ruhr Museums auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein illustriert vom 12.9.2022 bis 16.4.2023 die gesamte Geschichte des Flusses. 400 Bilder
und neun Filme präsentieren eindrucksvoll die Bedeutung der Emscher in vorindustrieller Zeit über den Abwasser- und Industriefluss bis hin zum erneuten Umbau des Emschersystems und zur Renaturierung in der Gegenwart.

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Die alte Emscher
Auf der 12-Meter-Ebene des Ruhr Museums wird auf der linken Seite des Hauptraums in den Bunkern zunächst die alte vorindustrielle Emscher mit rund 100 Bildmotiven präsentiert. Menschen lebten schon seit prähistorischer Zeit am fischreichen Fluss, auch wenn dieser Gefahren und Mühsal barg, da er häufig über die Ufer trat und nicht schiffbar war. Im Mittelalter entstanden zahlreiche Wasserschlösser und -mühlen, die anhand von Grafiken und Gemälden präsentiert werden. Sie prägten eine Kulturlandschaft, deren territoriale Grenzen in Teilen durch den Strom markiert waren.
Eindrucksvolle Exponate verweisen auf die Sagen und Mythen, die sich um die Emscher ranken. Karten und Pläne vermitteln Eindrücke und Geschichten vom damaligen Reichtum des Emscherraums in der vorindustriellen Zeit. Übersichtskarten und Bauzeichnungen belegen schließlich den Beginn des Umbaus der Emscher am Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Emschergenossenschaft.


Der Industriefluss
Das Kernstück der Ausstellung stellen die Fotografien des Emscher-Umbaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. Die über 200 Fotografien im Hauptraum stammen größtenteils aus dem beeindruckenden historischen Glasplattennegativarchiv der Emschergenossenschaft. Diese einmalige
Sammlung umfasst circa 40.000 Glasplatten, die den Lauf der Emscher und ihrer Bäche sowie die Baustellen festgehalten haben. Für die Planung der enormen Bauvorhaben wurden Aufnahmen der topografischen Gegebenheiten benötigt. Der Fortschritt der Bauarbeiten wurde ebenso fotografiert wie
die Schäden, die durch Bergsenkungen, Materialermüdungen oder Kriegseinwirkungen entstanden. Weitere Schwerpunkte in der Baustellendokumentation stellten Kläranlagen und Pumpwerke dar. Prägnant sind vor allem die Panoramen und vergleichenden Bilder, die Vorher-Nachher-Zustände zeigen.
Dabei wurden nicht nur der Umbau zum Industriefluss und die technischen Leistungen, die damit verbunden waren, sowie die Schwere der körperlichen Arbeit dokumentiert, sondern auch die gewaltige Landschaftstransformation bei der Emscherregulierung. Dadurch stellt die Sammlung zugleich auch einen fotografie- und sozialgeschichtlichen Schatz dar, der die Siedlungs- und Industrieentwicklung im Ruhrgebiet über ein ganzes Jahrhundert eindrucksvoll abbildet.

Die neue Emscher
Und schließlich visualisiert die Ausstellung mittels Bildmedien, die in den vergangenen Jahrzehnten beauftragt wurden, die neue Emscher, den erneuten Umbau des Emschersystems und die Renaturierung des Flusses. Die ab 2000 entstandenen Fotografien und Filme dienen wieder der Dokumentation des Umbaus einer ganzen Region und auch Imagezwecken.
Dazu gehören das Filmprojekt EMSCHERSKIZZEN der Wittener Filmteams Christoph Hübner und Gabriele Voss ebenso wie die zahlreichen Projekte, die die Emschergenossenschaft mit Fotograf*innen initiierte.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Projekte von Henning Maier-Jantzen, er seit über 10 Jahren – beauftragt durch die Emschergenossenschaft – den Emscher-Umbau in einer besonderen Art dokumentiert.
Abschließend werden die neuen technisch fortgeschrittenen Dokumentationsverfahren der Emschergenossenschaft wie computergenerierte Bilder und VR- und AR-Technik präsentiert, ebenso wie ihre neuen Tätigkeitsfelder in kulturellen und touristischen Bereichen, etwa den Emscherkunst- und den
bei Radfahrenden und Spazierenden beliebten Emscher-Weg, oder ihre nachhaltigen Projekte zur Klimafolgenanpassung, Biodiversität, Stadtbegrünung und sozialen Stadtplanung. Sie zeigen das Bild einer sich erneut völlig wandelnden Emscherregion in der Gegenwart und der nahen Zukunft.

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DIE GESCHICHTE DER EMSCHER
Wasser hatte im Ruhrgebiet, dem ehemals größten industriellen Ballungsraum in Europa, schon immer eine besondere Bedeutung. Zum einen musste es aus großen Tiefen bis zu tausend Meter nach oben gepumpt werden, um an den Stoff der Begierde des Industriezeitalters, die Kohle, zu gelangen und sie massenhaft abbauen zu können. Über Tage musste das Grubenwasser nicht nur über die bestehenden Wassersysteme abgepumpt werden, sondern diese dienten auch als wichtigste Transportwege für die
tonnenweise geförderte Kohle und für die mit ihrer Hilfe erzeugten Produkte der Montanindustrie. Die Hauptprobleme der Wasserwirtschaft waren aber spätestens mit dem Beginn der Hochindustrialisierung die Entsorgung der Abwässer auf der einen und die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser auf der anderen Seite. Dabei handelte es sich bei den Abwässern nicht nur um das Schmutzwasser der damals größten Industrieanlagen in Europa, sondern auch um das Brauchwasser und die Fäkalien einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf über fünf Millionen Menschen angewachsenen Bevölkerung einschließlich der für ihre Ernährung notwendigen Nutztiere. Dies stellte eine schier unglaubliche Herausforderung dar, zumal jeder Versuch, das Abwasser wie in anderen Industriegebieten und Metropolen unterirdisch abzuleiten, scheiterte, da die anhaltenden Bergsenkungen das Leitungssystem zerstörten und zu Verseuchungen des Erdreichs führten. 


Die Folgen waren große Seuchen wie Typhus, Cholera und Diphterie ab Ende des 19. Jahrhunderts mit Hunderten von Toten.
Angesichts dieser Situation wurde 1899 die Emschergenossenschaft als Deutschlands erster Wasserwirtschaftsverband gegründet. Was sie anschließend schuf, war eine ingenieurstechnische Meisterleistung: Der Fluss und seine Nebenläufe wurden nach und nach begradigt, die Gewässer eingedeicht und mit Betonsohlschalen befestigt. Vorüber war die Zeit der Seuchen und Überflutungen. Was blieb, war der Gestank eines offenen Abwasserlaufs.

Mit dem Ende des Bergbaus stellte sich die Emschergenossenschaft einer neuen Herausforderung. Das Abwasser wurde aus dem Fluss unter die Erde verbannt. Rund 5,5 Milliarden Euro wurden in den Bau von vier modernen Großkläranlagen, drei großen Pumpwerken und 436 Kilometer unterirdische Kanäle investiert. Diese Arbeiten schaffen heute die Grundlage für die bemerkenswerte Umgestaltung: Die Emscher und ihre Nebenläufe werden wieder zu Habitaten für Pflanzen und Tiere und zum Erlebnis- und Erholungsraum für die Menschen. Die Geschichte des Flusses war und ist also immer auch die der Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen. Dabei steht die nächste bereits vor der Tür: Der Klimawandel ist deutlich spürbar.
Die Temperaturen in den Städten steigen, Phasen der Trockenheit wechseln sich ab mit Starkregenereignissen.


DAS BILDARCHIV DER EMSCHERGENOSSENSCHAFT
Das kurz nach der Gründung der Emschergenossenschaft (1899) entstandene Bildarchiv gehört zu den bedeutendsten Archiven der Region und umfasst inzwischen 200.000 digitale und analoge Bildeinheiten. Ergänzt wird der Bestand durch einen Fundus aus Luftbildern seit den 1920er Jahren. Es bietet eine einmalige Dokumentation der Wasserwirtschaft im nördlichen Ruhrgebiet von 1906 bis 1966. Insgesamt wurden 40.000 Glasplattennegative in einem mehrjährigen Prozess digitalisiert und 2005 dem Ruhr Museum zur fotokonservatorisch angemessenen Aufbewahrung übergeben.

DER FÖRDERER
Die Emschergenossenschaft ist ein öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen, das als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip lebt. Sie wurde 1899 als erste Organisation dieser Art in Deutschland gegründet und kümmert sich seitdem unter anderem um die Unterhaltung der Emscher, um die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie um den Hochwasserschutz. www.eglv.de

DAS BEGLEITPROGRAMM
Während der Laufzeit der Ausstellung findet ein umfangreiches Rahmenprogramm auf dem UNESCO- elterbe Zollverein in Essen statt. Es umfasst unter anderem eine Vortragsreihe, eine Podiumsdiskussion, einen Filmzyklus und Filmabende, Exkursionen durch das Ruhrgebiet sowie eine Fahrradtour zu den Kunstwerken des Emscherkunstweges.
Eine kostenlose Audioguide-App führt auf dem eigenen Smartphone oder Tablet zu den Highlights der Ausstellung und ergänzt das öffentliche Führungsprogramm auf Deutsch und Englisch. Familien entdecken mit Quizzen, Führungen und Workshops die Emscher auf ihre Weise. Ein besonderes Programm für Schulklassen nimmt Fotografien und den »Schicksalsfluss« in den Blick.
Jede Führung aus dem Veranstaltungsprogramm kann auch als individuelle Gruppenführung gebucht werden. Führungen sind in verschiedenen Fremdsprachen möglich. Sprache, Zeit, Gruppengröße und Thema können mit dem Besucherdienst des Ruhr Museums abgestimmt werden.

WEITERE AUSSTELLUNG AUF ZOLLVEREIN ZUM EMSCHER-UMBAU
Auf den architektonisch beeindruckenden Ebenen der Mischanlage der benachbarten ehemaligen Kokerei Zollverein präsentiert die Ausstellung »Beyond Emscher. Fotografische Positionen aus der Gegenwart« noch bis zum 6.11.2022 zeitgenössische Fotografien der Emscherregion. Die Aufnahmen aus den Jahren 2016 bis 2022 dokumentieren in 16 künstlerischen Positionen das soziale Leben, die Landschaft und die Architektur im nördlichen Ruhrgebiet. Die Bilder zeigen bewusst nicht die baulichen Maßnahmen, sondern Motive jenseits des Flusses – »Beyond Emscher« – und beziehen sich auf ökologische, soziale, topografische und urbane Aspekte der Geschichte der Emscher. Die beteiligten Fotograf*innen sind Aymeric Fouquez, Javier Klaus Gastelum, Paul Kranzler, Fatih Kurçeren, Jeffrey Ladd, Andreas Langfeld, Bettina Lockemann, Arwed Messmer, Giorgio Morra, Sabine Niggemann, Martin Rosswog, Katja Stuke und Oliver Sieber, Sarah Straßmann, Nikita Teryoshin, Malte Wandel und Petra Wittmar.
Ihre Arbeiten sind konzeptuell, journalistisch oder künstlerisch-dokumentarisch angelegt.

DER KATALOG
Der 288 Seiten starke Katalog »Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses« wird herausgegeben von Heinrich Theodor Grütter und Uli Paetzel. Der Band kostet 29,95 € und erscheint im Klartext Verlag, Essen.
ISBN-Nummer: 978-3-8375-2531-1.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Alle Veranstaltungen werden unter den jeweils geltenden Sicherheits- und Hygienestandards der geltenden Coronaschutz-Verordnung stattfinden.
Änderungen sind jederzeit möglich.
Aktuelle Informationen unter www.ruhrmuseum.de