Titelfoto: Dmitry Shakhin, alle anderen Fotos: Anna Karina Ruether

 

Checkbar: Hallo Yana, du bist Artistin, Tänzerin, Choreografin und aktuell beim Cirque Bouffon in einer unglaublich komischen Rolle zu sehen. Wie bist du zum Circus gekommen? 

Yana: Meine Eltern sind auch Tänzer und ich habe meine ganze Kindheit in der Philharmonie verbracht. Ich habe alle ihre Konzerte geschaut und mit drei oder vier Jahren alles nachgemacht, was mein Vater getanzt hat. Ich kannte alle Choreografien auswendig und das nicht nur, weil ich seine Tochter bin, sondern weil er ein sehr guter Künstler und Artist war. 

Mit 6 Jahren besuchte ich viermal die Woche eine große Tanzschule in meiner Heimatstadt Ternopil. Dort habe ich Ballett, Folk- und Varietétanz gelernt und wir sind oft aufgetreten und viel gereist.  Mit 11 Jahren bekam ich meinen ersten Vertrag für eine Kindershow im Freizeitpark Everland in Südkorea für vier Monate. Diese Zeit war sehr anstrengend, wir hatten zum Teil drei Shows am Tag plus die Parade durch den ganzen Park – und das bei 35 Grad und weit weg von Mama und Papa. Aber es hat uns so viel Spaß gemacht. Everland wollte den Vertrag verlängern, aber der koreanische Staat hat es verboten. Kinder sollten nicht arbeiten. Wir waren sehr traurig, denn wir hätten gern weitergearbeitet. Aber wir mussten ja auch zurück in die Schule. Es war gar nicht so einfach, zurück ins normale Leben zu kommen. 

Mit 15 Jahren bin ich nach Kyiv umgezogen und habe an der Circus and Variety Arts Academy Choreografie und Tanzlehrerin studiert. Fast alle ukrainischen Künstler haben dort studiert. Man ist dort in einem riesigen Internat untergebracht,  5 Studenten in einem Zimmer. Das war sehr, sehr lustig und wir waren alle wie eine große Familie. In der Zeit habe ich mich in den Circus verliebt, vorher wollte ich immer nur tanzen. Die Zirkusartisten waren noch disziplinierter als ich. Alle meine Freunde sind zweimal am Tag in den Circus gegangen und haben viele Stunden geübt. 

Bei der Examensprüfung hat mich ein Agent von Palazzo (Dinner Shows) gesehen und engagierte mich für die Weihnachtsshow. In das deutsche Publikum habe ich mich sofort verliebt. Für mich sind sie das beste Publikum, denn sie genießen die Shows, sehen sehr konzentriert zu und applaudieren viel. Ich mag auch das Konzept der Dinnershows sehr. In der Ukraine gab es so etwas leider nicht. 

Ich habe noch zwei Jahre in Kyiv für meinen Bachelor-Abschluss studiert und bin nach dem Examen zur Dinnershow Mafia Mia! in Dresden gekommen. Diesen Winter bin ich im zehnten Jahr dabei, erst als Tänzerin und jetzt auch als Choreografin. 

Und dann schrieb mir Darya, die Ex Partnerin von Suzanne, weil sie eine Vertretung für sich gesucht hat und wir uns etwas ähneln. In der Wintershow vom Cirque Bouffon habt ihr noch Darya und Suzanne gesehen. 

Mir gefällt diese Kombination aus Theater und Circus sehr gut und die Proben mit Frederic (Zipperlin) waren sehr interessant. Er hat so einen besonderen Charme und ihm ist wichtig, aus den Artisten  und Artistinnen ein Team zu formen und eine Verbindung zwischen uns herzustellen. Wir hatten nur drei Wochen Zeit und Frederic wollte, dass wir schon vor der Premiere das Gefühl haben, eine Familie zu sein. Seine  Übungen waren manchmal anstrengend, aber sie haben uns in dieser kurzen Zeit sehr eng zueinander gebracht. Ich bin sehr begeistert von seiner Technik. 

checkbar: Wohnt ihr hier auch zusammen?

Yana: Nein, für mich ist es wichtig, dass wir nicht in einem Haus wohnen, damit ich abschalten kann. Wir sind den ganzen Tag hier zusammen und das ist schön. Aber wenn ich nach Hause komme, muss ich ein bisschen alleine sein, um den Kopf wieder freizubekommen und mich zu erholen. Wir sind alle sehr verschieden und voller Energie. Wenn wir zu lange zusammen sind, brauchen wir, glaube ich, etwas Abstand, damit wir uns immer wieder vermissen.

checkbar: Das klassische Familienleben hast du aber eigentlich nicht gehabt? Die Kollegen waren und sind Familie?

Yana: Wahrscheinlich ja, weil ich ja mit 15 schon von zu Hause weg war und auch vorher schon immer zu Auftritten unterwegs war. Ich liebe meine Eltern und ich bin froh, dass sie mir so viel Freiheit gegeben haben. Für mich ist es perfekt so. Wenn ich merke, dass sich zu viel Bindung aufbaut, wird es mir schnell zu eng. Ich kann auch nicht zu lange an einem Ort  bleiben. 

checkbar: Möchtest du über die Situation in der Ukraine sprechen?

Yana: Ich glaube ja.

Anmerkung: An dieser Stelle unterbrachen wir das Interview für einen kurzen Moment, weil Yana, die ich bis dahin als glückliche und fröhliche Künstlerin kennengelernt hatte, von einer großen Traurigkeit ergriffen wurde und sich kurz sammeln musste.

Yana: Ich weiß nicht, wann der Krieg endlich endet. Und das ist das Einzige, was richtig weh tut. Bei  Kriegsbeginn war ich in Kyiv, meine Eltern sind von Ternopil zu meinem Bruder nach Amerika gegangen. Mein Vater hat es nach 4 Monaten nicht mehr ausgehalten, er  wollte unbedingt zurück in die Ukraine. Meine Mutter ist ein ganzes Jahr  in den USA geblieben. Da sich die Kriegshandlungen zuletzt  auf die Ostukraine und Kiew konzentrierten,  ist sie vor einem Monat auch nach Ternopil zurückgekehrt. Sie liebt ihre Arbeit sehr und hat wieder angefangen, an der Tanzschule zu arbeiten. Vor ein paar Tagen gab es wieder einen Raketenangriff auf Ternopil. Seit vier Tagen schlafen meine Eltern nachts  im Flur, weil es sehr gefährlich ist. Sie haben Angst und können nicht schlafen – und ich schlafe auch nicht. 

Ich versuche, nicht zu viel daran zu denken, weil ich nichts machen kann.  Und ich bin sehr froh, dass ich hier sein kann. 

checkbar: Ganz andere Frage: Du bist eigentlich Tänzerin. Seit wann arbeitest du am Trapez?  

Yana: Seit zwei Monaten. Ich habe das vorher noch nie gemacht. Im Winter habe ich im Luftring geübt und mich vorbereitet. Aber ich habe auch keine Angst vor der Höhe, vielleicht, weil ich als Kind überall geklettert bin.

checkbar: Was machst du, um Dich von Deiner anstrengenden Arbeit zu entspannen? 

Yana: Ich liebe mich und meinen Körper und versuche Dinge zu tun, die mich glücklich machen. Nicht nur Training. Ich gehe mir etwas Schönes kaufen oder etwas Gutes essen, ich treffe meine Freunde, besuche Museen.  Oder ich fliege ein paar Tage nach Italien, weil ich mich belohnen und entspannen möchte. Ich kann mein Leben sehr gut genießen. Dazu gehört auch, so viel wie möglich zu schlafen. 

Heute habe ich zum Beispiel  bis 10.30 Uhr geschlafen, aber ich war auch erst um 23.00 Uhr zu Hause. Nach der Show bin ich noch so voller Adrenalin, dass ich auch nicht sofort einschlafen kann. Dazu kommen noch die Sorgen wegen des Krieges. 

checkbar: Und wenn du einen freien Tag hast, schaust du dir dann etwas von der Stadt an? Hast du schon etwas von Köln gesehen?

Yana: Ja. Eine sehr gute Freundin arbeitet als Ballettänzerin bei Cavalluna. Wir sind barfuß 17.000 Schritte an einem Tag durch die Stadt gelaufen und da habe ich schon ein bisschen was gesehen. Köln ist eine wunderschöne Stadt!

checkbar: Liebe Yana, das ist ein großartiges Schlusswort! Ich danke dir, dass du so offen aus deinem Leben erzählt und dir so viel Zeit genommen hast! 

Yana: Sehr gerne, danke für dein Interesse. Ich wünsche dir viel Spaß in unserer Show Paraiso