Titelfoto: Thomas Rabsch
Premiere: 05.11.2022
Besuchte Vorstellung: 14.03.2023
Weitere Termine bis 15.06.2023
Regisseur und Schauspieler André Kaczmarczyk inszenierte das Erfolgs-Musical Cabaret aus dem Jahr 1966 neu. Basierend auf dem halbautobiografischen Roman „Goodbye to Berlin“ von Christopher Isherwood hat das Musical auch heute leider nichts an Aktualität verloren.
„Willkommen! Bienvenue! Welcome! Ihr Ladies und Gentlemen – und alle, die sich dazwischen befinden.“
Auf der Suche nach Inspiration zieht es den jungen Schriftsteller Cliff Bradshaw (Belendjwa Peter) 1929 in die brodelnde Metropole Berlin. Auf Empfehlung seiner Reisebekanntschaft Ernst Ludwig (Raphael Gehrmann) bekommt er ein günstiges Zimmer bei Fräulein Schneider (Rosa Enskat). Den Silvesterabend verbringt er im berüchtigten „Kit Kat Klub„, einem zwielichtigen Kabarett und Ort dekadenter Feierlichkeiten, wo er den geheimnisvollen Conferencier (Rob Pelzer) und die ambitionierte Sängerin Sally Bowles (Lou Strenger) kennen lernt. Als Sally entlassen wird, zieht sie bei Bradshaw ein.
Das spröde Fräulein Schneider und der jüdische Obsthändler Herr Schultz (Thomas Wittmann) entdecken ihre Zuneigung für einander und feiern Verlobung.
Im ersten Act stellt Kacmarczyk das glamouröse, dekadente, hemmungslose und ausschweifende Berliner Leben in den goldenen 20s heraus. In seiner technisch und optisch aufwendigen Musical-Inszenierung hebt er nahezu alle Grenzen auf und zelebriert mit einem großartigen Ensemble Diversität. Goldkonfetti, Pailletten, Lack und Leder, Umschnallpenisse und -brüste, grandiose Songs und Tanzszenen sorgen für eine großartige, beschwingte Stimmung im Schauspielhaus.
Das Lied „Der morgige Tag“ leitet zur Pause hin aber den Umbruch ein.
Während die Besucher langsam auf ihre Sitze zurückkehren, spielt sich Yaroslav Ros vor dem noch geschlossenen Vorhang mit einigen Kunststückchen in die Herzen der Zuschauer. Zu Beginn des zweiten Acts legt er mit einer großartigen Steppnummer nach. Nur kurze Zeit später symbolisiert er durch das Zerquetschen eines Apfels im Obstladen von Herrn Schulz die brutalen Übergriffe der Nazis auf jüdische Geschäfte. Für mich nimmt er mit dieser erschreckenden Verwandlung ganz ohne Text eine kleine Schlüsselrolle in diesem Musical ein.
„Berlin kotzt auf die Straße!“
Ernst Ludwig steigt in der Partei vom kleinen Schmuggler in eine Führungsposition auf und geht in dieser neuen Aufgabe völlig auf. Im Kit Kat Club zwingt er den Conferencier, an der Seite von Affen für Toleranz zu singen. Die Zukunft ist finster, düster, freudlos und brutal. Am Ende drehen sich alle Charaktere wie Standbildern vor den Zuschauern und lassen die letzten zweieinhalb Stunden noch einmal Revue passieren.
„Wenn du nicht dagegen bist, bist du dafür.“ Cliff Bradshaw
Rob Pelzer als schillernder Conferencier ist einfach eine Wucht! Ob im hautengen Netz-Trikot, in Lack und Leder oder blau-transparentem Rüschen-Umhang – er ist unglaublich frech, charismatisch und authentisch in seiner Rolle. Lou Stenger als Sally Bowles agiert schauspielerisch und gesanglich überragend, performt dabei Welthits wie „Maybe this time„, „Mein Herr“ oder „Cabaret„.
Belendjwa Peter agiert in der Rolle des Clifford sehr ruhig, fast schon bieder. Rosa Enskat hat mich in der Rolle als Fräulein Schneider besonders bei dem Lied „Na und“ begeistert und harmoniert sehr gut mit Thomas Wittmann, der den anrührenden Obsthändler Schultz verkörpert. Claudia Hübbecker spielt und singt überzeugend. Als kesses Fräulein Kost bekommt sie viel Besuch von der männlichen „Verwandtschaft“ und verdient sich so das Geld für die Miete. Raphael Gerhmann nimmt man den unsympathischen Ernst Ludwig gut ab.
Unter der bewährten Leitung von Matts Johan Leenders zaubert die hervorragende Kit-Kat-Club-Band von der ersten Minute an einen ansteckenden, sehr guten Sound mit Ragtime-, Swing-, Jazz- und Revuenummern.
„Life is a cabaret, old chum, come to the cabaret!“
Durch die Drehbühne verwandelt sich das detailreiche Bühnenbild von Ansgar Prüwer abwechselnd und schnell in den Kit Kat Klub, Fräulein Schneiders Pension oder eine dunkle Berliner Gasse. Die Übergänge wirken hierdurch sehr fließend. Das tolle Lichtkonzept von Konstantin Sonneson greift die sich ändernde Stimmung des ersten und zweiten Aktes perfekt auf. Zusammen mit den aufwendigen Kostümen von Martina Lebert wird dieses Musical zu einem gelungenen Gesamtkunstwerk.
Das Publikum ließ sich berühren und begeistern, feierte die Vorstellung mit viel Zwischenapplaus und Standing Ovations am Schluss.
Fazit: Mit seiner großartigen, ungewöhnlichen, musikalisch und choreografisch kompakten Inszenierung von Cabaret hat Andre Kacmarczyk eine ganz große Show geschaffen, die unter die Haut geht und ohne erhobenen Zeigefinger für Haltung, Toleranz und Diversität steht.